Julia Mummenhoff
Insert
erschienen in der Lerchen_feld 07“ Zeitschrift der HfbK Hamburganlässlich der Ausstellung Insert
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Das Fernsehen ist tot, es lebe das Fernsehen : Für die deutsch-französische Kooperation »Channel TV« erstellten Künstlerinnen und Künstler aus beiden Ländern ein äußerst kurzweiliges Fernsehprogramm. Heiko Karn, Katrin Mayer und Eske Schlüters konzipierten mit ihrer Ausstellung »Insert« einen Kommentar zum Thema und schufen zugleich den Rahmen, in dem »Channel TV« nun gezeigt wird. Alle drei haben an der HFBK bei Eran Schaerf studiert. Am Anfang war eine Scheibe. Paul Nipkow entdeckte 1883 als Student in Berlin (der Legende nach an einem einsamen Heiligabend vor einer brennenden Kerze), wie mittels einer spiralförmig gelochten Scheibe ein Bild in Zeilen und Punkte zerlegt werden kann. Viele Jahre später ermöglichte die »Nipkow-Scheibe« die Übertragung der ersten Fernsehbilder. Obwohl sich sehr bald die von Manfred von Ardenne entwickelte elektronische Bildabtastung und Karl Ferdinand Brauns Bildröhre als effektiver und leistungsfähiger durchsetzten, gilt Paul Nipkow als Pionier des Fernsehens und der 1935 in Berlin gegründete erste Fernsehsender der Welt erhielt seinen Namen (die Nazis setzten die neue Technologie neben Rundfunk und Kino als dritte Säule ihrer Propagandamaschinerie ein).
Heiko Karn, Katrin Mayer und Eske Schlüters haben die Nipkow-Scheibe an den Anfang ihrer Ausstellung gestellt, die sie als verräumlichten Zwischentext verstehen. Insert heißt sie, so wie beim Film eine kommentierende Texteinblendung, ein Zwischentitel oder ein einfügender Schnitt. Sie schafft Raum für eine Reflexion über Wahrnehmung, indem sie diese entschleunigt und dekonstruiert.
So ist die Nipkow- Scheibe anfänglich als ganz konkrete, gegenständliche Erscheinung auf einer Fotokopie zu sehen. Auf einem Kopierer wurde sie dann Schritt für Schritt immer weiter vergrößert, bis – unzählige Fotokopien später – die Durchsicht durch eines der Löcher gelang.
Auf das Loch und seine wesentliche Bedeutung für die Erzeugung übertragbarer Bilder verweist die gesamte Raumgestaltung im Kunstverein Harburger Bahnhof : Bahnen aus weißem Lochtüll hängen von der hohen Kassettendecke des Raumes bis zum Boden. Es ist ein Gewebe, dessen Struktur aus regelmäßigen, kreisrunden Löchern besteht und häufig von Bühnenbildnern verwendet wird. Beim Durchschreiten des Raumes kann man ausprobieren, wie sich die Sicht auf die Dinge durch eine oder zwei Löcherschichten, aus der Nähe oder aus der Entfernung verändern.
»Never the same Colour« war der Spitzname des amerikanischen National Television Systems Comittee (NTSC), das den ersten Standard für das Farbfernsehen festlegte – er gilt noch heute in den USA und einigen Ländern Ostasiens. Willkürliche Farbverschiebungen sorgten in den Anfangsjahren immer wieder für unfreiwillige humoristische Einlagen (Ansagerinnen mit grünen Haaren usw.) – darauf spielt die Verballhornung an. Im Zentrum der Ausstellung werfen zwei unterschiedlich positionierte Diaprojektoren Farben an die Wand, die dem Spektrum und den Farbwerten des NTSC-Systems entsprechen. Was einmal ein großes Ganzes ergeben sollte, nämlich ein farbiges Fernsehbild, wird zerlegt, aufgefächert und bis zur Unkenntlichkeit verlangsamt.
Fotokopien, textile Strukturen, Diaprojektionen – der Trick von Karn, Mayer und Schlüters ist, mit analogen, noch altmodischeren Mitteln Betrachtungen über ein Medium anzustellen, das mittlerweile als überholt gilt. Auch das vierte Element der Ausstellung folgt diesem Prinzip : Es ist ein Auszug aus einem Text von Rudolf Arnheim von 1936, in dem er das Bahnbrechende des Fernsehens als das beschreibt, was es ist : die technische Möglichkeit visuell an Ereignissen in der Ferne teilzuhaben. Auf dem hauseigenen Drucker des Kunstvereins, einem in den meisten Druckereien ausgemusterten Risographen, wurde aus ihm ein Multiple zum Mitnehmen.
Eingebettet in die Ausstellung, läuft auf drei komfortablen Monitoren »Channel TV«. Das achtstündige Fernsehprogramm von deutschen und französischen Künstlerinnen und Künstlern wurde vom Kunstverein Harburger Bahnhof zusammen mit dem Centre d’Art in Chatou bei Paris sowie der Halle für Kunst in Lüneburg realisiert und ist Teil des übergeordneten Kooperationsprojekts »Thermostat« zwischen deutschen Kunstvereinen und französischen Centres d’Art. Außer in den beteiligten Institutionen ist »Channel TV« in den Lobbys von zwei Hamburger Hotels (Europäischer Hof und Hotel Fresena) zu sehen und wird bei Tide TV gesendet.
Darüberhinaus ist eine farbige, dreisprachige Sonderausgabe der französischen Philosophiezeitschrift »Multitudes« erschienen, die unter dem Titel »Art/TV Clash« den theoretischen Hintergrund liefert, in der aber auch das Programm von »Channel-TV« nachzulesen ist. Die 30 künstlerischen »Fernseh«- Beiträge decken, mal gezielt, mal durch Zufall, gängige TV-Formate, wie Talkshows, Nachrichtenmagazine, Sport- und Heimwerkersendungen oder Sitcoms ab. Als Celebrity-Magazin geht beispielsweise der Kurzfilm »Sorry« des Hamburger Künstlers Stefan Panhans durch, der 20 dank einer professionellen Maskenbildnerin verblüffend gut getroffene »Prominente« in einer überfüllten U-Bahn ins Nirgendwo fahren lässt. Der Franzose Jean-Marc Chapoulie steuerte eine professionelle Reisereportage bei, indem er aus Reportagen über die letzte Tour de France alles entfernte, was auf Radsport hindeutet. Übrig geblieben sind touristische Informationen und Landschaftsaufnahmen, die zuvor Beiwerk waren. Christian Jankowskis 2010 für eine Ausstellung in der Londoner Pump House Gallery entstandenes Video »The Perfect Gallery« (die »Ausstellung« bestand aus dem, wie der Name schon sagt, in eine perfekte Galerie verwandelten Galerieraum) nimmt im Rahmen von »Channel TV« den Platz eines Renovierungs-Features ein. Angesichts der zunehmenden Möglichkeiten des Fernsehens »on demand« bietet »Channel-TV« das anachronistisch erscheinende Vergnügen eines festen Programms. Es ist aber keineswegs als Abgesang auf ein totgesagtes Medium, vielmehr schafft »Channel TV« Aufmerksamkeit für die Besonderheiten des Fernsehens, um von dieser Warte aus über die Zukunft nachzudenken.
© Julia Mummenhoff