Dirck Möllmann
Zeigen heißt bewahren - wie wird Kunst politisch?
erschienen in der the Thing Hamburg anlässlich der Ausstellung To Show is to Preserve
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Zeigen heißt bewahren – wie wird Kunst politisch?
Eine Ausstellungsbesprechung von Dirck Möllmann
»To Show Is To Preserve. figures and demonstrations«
Martin Beck, Eva Birkenstock, Joerg Franzbecker, Max Hinderer,
Heiko Karn, Hannes Loichinger, Katrin Mayer und Eske Schlüters
Halle für Kunst
Reichenbachstraße 2
21335 Lüneburg
27. September bis 16. November 2008
www.halle-fuer-kunst.de
Wie – politisch? Durch Zeichen, Symbole und Bedeutungen wird die Kunst politisch. Mit kritischer Aussage wird Kunst politisch: „Wir nennen es Dubai“, oder „Hamburg über alles“, war zu lesen auf Papptafeln während der Eröffnungsreden zur Ausstellung „Wir nennen es Hamburg“ neulich im Kunstverein in Hamburg. Die demonstrative Geste zählte – die hochgehaltenen Botschaften waren zweitrangig. Vielleicht lief deswegen der Protest ins Leere. Die Aktivisten/Innen des Musiker/innen-Kollektivs Schwabinggrad Ballett standen draußen im Entrée. Sie wurden freundlich aufgefordert, herein zu kommen und der Einladung folgten sie dann auch umgehend. Sie mischten sich unter die Besucher eines interdisziplinären Projekts, deren künstlerische Teilnehmer sie sowieso schon waren. Ihre Geste gab sich als außerinstitutionelle, politisch gemeinte Kritik an einer insgesamt fragwürdigen Ausstellung. So verstanden, blieb der Protest kraftlos, weil die Schlagworte es sich zu einfach machten, aber auch, weil die Teilnahme des Schwabingrad Balletts am weiteren Programm allseits bekannt war, die Aktion fast wie bestellt wirkte. Beabsichtigt war der Auftritt als Werbung für die eigene Veranstaltung am selben Abend, so eine Teilnehmerin, was eigentlich niemand mitbekommen hat. Ein merkwürdiger Umgang mit Zeichen, überdeutlich vorgezeigt, doch niemand versteht sie... Die Situation führte viel mehr die Verwicklung aller Beteiligten in die sie fördernden Strukturen vor Augen. Sie ließ an Generationswechsel in der Künstlerschaft denken, an die Steuerungstechnologien und die Selbst-Organisation des künstlerischen Feldes. Man kommt dabei nicht umhin festzuhalten: Wir sind Open Space – und wir zeigen uns.
In der Lüneburger Ausstellung To Show Is To Preserve. figures and demonstrations liegen ähnliche Protesttafeln, wie sie in Hamburg noch betextet und demonstrativ in die Höhe gehalten wurden, nun unbeschriftet am Boden, allerdings nur auf einer Fotografie. Man sieht sie „nur“ auf einem Bild. Sie sind clean und unbenutzt. Der Umgang mit den Zeichen erfolgt behutsam und bedacht.
Das gesamte Arrangement mit Metallzäunen, Bilderbahnen, Textzetteln und Videos bringt in der Halle für Kunst ein eher kühl temperiertes Denkbild zum Ausdruck als ein emphatisches Zeichen voll zornigen Protests, der sich beispielsweise an den Zäunen der Macht abarbeiten würde. Die Ausstellung thematisiert im Zeigen stattdessen sowohl künstlerische als auch politische Handlungen – sie „sagt“: Künstlerisches Handeln, das Öffentlichkeit herstellt (wie eine Ausstellung), ist immer auch politisch, aber, und das würde ich angesichts der dortigen "figures and demonstrations" hinzufügen, politische Aktion ist nicht gleich Kunst. Es geht um Fragen grundsätzlicher Art, die mithin akademisch klingen, was sie deshalb nicht uninteressant macht: Was ist Zeigen? – Wie wird Kunst politisch? – Wie wirken Zeichen? – Wie verändert sich ihre Bedeutung durch den Zusammenhang? – Wirken die Zeichen in hitziger Zusammenballung wie ein Herd („Dubai“, oder „über alles“) oder verstreuen sie sich, werden unscheinbar, aber ansteckend? Welche Rolle übernehmen dabei die „Zeige-Medien“ (Apparate, Schilder, Projektion etc.)?
Der Titel benennt das Motto der Ausstellung. Im Frankreich der 1930er Jahre formulierte Henri Langlois seinen Imperativ für die Archivierung visueller Kultur: »Zeigen heißt Bewahren! « – lange bevor Fernsehen und Netz allgegenwärtig wurden. Langlois konzipierte sein Filmarchiv, die „Cinémathèque française“, 1935 gegründet gemeinsam mit Georges Franju und Jean Mitry, nach diesem kühnen Prinzip, allerdings nicht ohne Not. Denn der langjährige Direktor erfand aufgrund großer Verluste eine Tugend: das Zeigen. Durch zahlreiche Zerstörungen wegen unsachgemäßer Lagerung, Verrottung und verbrannter Silbernitratfilme (schnellst entflammbares Material aus der Frühzeit des Films) entschloss er sich, die Sammlung lieber zu zeigen und sie einem kollektiven Gedächtnis zu überantworten, anstatt sie bloß zu verwahren. Seinen Stoßseufzer erkoren sich die künstlerischen KuratorInnen als Header für ihre erste gemeinsame Ausstellung.
Die Halle für Kunst (h_f_k ) entstand 1995 als Ort für eine selbst-organisierte kuratorische Arbeit mit theoretischem Anspruch im künstlerischen Feld, um in Lüneburg eine Alternative zu dem sehr eng mit der Universität verbundenen und auf dem Campus gelegenen Kunstraum aufzubauen. Am institutionellen Kunstraum störte manche das hierarchische Verhältnis zwischen Künstler/innen, Studierenden und Hochschullehrer/innen, von der sich die Halle für Kunst programmatisch absetzen wollte. Heutige Ironie der Geschichte: Die h_f_k ist nicht nur selbst zur Institution geworden, sondern der Mitbegründer und aktuelle Leiter des Kunstraums, Ulf Wuggenig, ist mittlerweile sogar der Vorsitzende im Kunstverein Halle für Kunst e. V. Die h_f_k liefert dennoch mit ihrer Vorgeschichte der Kritik an hierarchisch organisierten Verhältnissen innerhalb der universitären Lehre einen Glaubwürdigkeitskredit im Kunstfeld, auf den Eva Birkenstock und Hannes Loichinger als aktuelle künstlerische Leiter mit ihrem Programm aufbauen. Beide sind zugleich Mitglieder selbiger interdisziplinären Gruppe von Künstler/innen, Theoretiker/innen und Kurator/innen, die sie mit ihrer dritten Ausstellung seit Leitungsbeginn nun vorstellen, damit auch sich selbst in einer etwas anderen Rolle.
Die Gruppe kommt (noch) ohne Namen aus. Im Gespräch klang durch, dass es einfach nicht so wichtig war, sich einen Namen zu geben. Aus diesem Umstand bezieht die Ausstellung ihre Besonderheit: eine angenehm unklar bleibende Autorschaft für Objekte, Bilder, Videos innerhalb eines institutionellen Rahmens. Alle Ankündigungen enthalten zwar wie üblich eine Reihe von Namen unter einem Titel, versehen mit einer Ortsangabe. Die notwendigen Informationen werden also vermittelt, aber es wird darüber hinaus keine weitere Zuschreibung getroffen, wer welchen Beitrag geleistet hat. Es wird ausdrücklich nicht eines oder mehrere Werke präsentiert, sondern die eigene Zusammenarbeit als Ausstellungsinstallation zugänglich gemacht. Und die wirkt erstaunlich homogen und ästhetisch durch gearbeitet. Jede und jeder hat den eigenen Kompetenzen gemäß zum Gesamtergebnis beigetragen. Das klingt nach gutem Teamwork mit kollektiven Zügen, die im Konsensprinzip erkennbar werden. Auf meine Frage nach einer offenen Struktur innerhalb der Gruppe, die sich in der Ausstellung widerspiegele, antwortete Joerg Franzbecker, dass er die Zusammenarbeit auch als offen, aber in erster Linie als sehr konzentriert erlebe, was keinen Widerspruch zur Frage darstelle, sondern eine etwas genauere Beschreibung der Arbeitsatmosphäre liefere. Die Gruppenarbeit versteht sich im Sinne eines forschenden Kuratierens, das insbesondere durch Beatrice von Bismarck an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig theoretisch wie praktisch an der Institution verankert wird.[1] Es ist der Versuch, tradierte Rollenmuster und gängige Selbstbilder in künstlerischer wie kuratorischer Theorie und Praxis zu hinterfragen. Beispielsweise auf der Ebene des Managements einer Ausstellung, das wie im Lüneburger Fall die konkurrierende Nähe zwischen Künstler/in und Kurator/in durch eine kollektiv aufgefasste Zusammenarbeit auflösen will.
Einen, wie oben erwähnt, konzentrierten Umgang mit der eigenen Arbeit vermittelt die Ausstellung tatsächlich. Der recht kleine Raum in Lüneburg liegt etwas zurück versetzt von der Straße im Hinterhof eines ehemaligen Gewerbegebäudes. Man gelangt am nachträglich eingebauten, offen zugänglichen Büro- und Eingangsbereich vorbei in die Halle. Sechs Elemente eines ca. 2 Meter hohen Metallzauns sind zu zwei frei stehenden Einheiten zusammengesetzt. Locker darüber geworfen, liegen breite Papierstreifen, bedruckt mit Fotoclustern und zwei Musterbahnen verschiedener Herkunft. Es ist leichtes Zeitungspapier von der Rolle, wie es bei Rotationsmaschinen zum Einsatz kommt. Die Papiere scheinen recht empfindlich zu sein, sie flattern bereits, wenn man nur leise an ihnen vorbei geht, und sie erwecken über den harten Draht gelegt keinen besonders reißfesten Eindruck. Die Bauzäune übernehmen die Funktion von Raumteilern sowohl als auch die Aufgabe einer Wand als Bild- und Objektträger. Neben den Ständern liegen an vier Stellen DIN A4-Papiere als Saalzettel zum Lesen und Mitnehmen. Mit eigens verfassten Texte werden Schlüsselworte der Ausstellung reflektiert wie: „Figur – Demonstration“, „bewahren/zeigen“, „Repräsentation“, „Performanz“ oder „submedialer Raum“. Die umlaufenden Gebäudewände sind nicht weiter genutzt, mit einer Ausnahme als Halterung der Konsole für einen Videoprojektor. Zwei Beamer projizieren zwei gleiche Videoloops, leicht zeitversetzt, an zwei verschiedenen Stellen auf die Installation. Auf dem grau gestrichenen Estrichboden sind zusätzlich zwei weitere Stellvarianten der Bauzäune als andere mögliche Grundrisse mit schmalem schwarzem und weißem Klebeband auf dem Boden markiert.
Einfach gesagt: Das Display selbst wird ausgestellt. Der frei stehende grobe Zaun wirkt ungewöhnlich und provisorisch in dem Ausstellungsraum. Die Bodenzeichnung gibt ihm etwas mehr Halt: Er könnte auch anders da stehen, anderes bedeuten, das beruhigt. Die Papiere hängen nicht an den weißen Wänden, sondern liegen von beiden Seiten sichtbar über den allseitig umgehbaren Raumteilern. Diese scheinbar nachlässige Geste mildert ein wenig die formale Nüchternheit des Displays. Es sind mehrere Ansichten möglich und das Zeigen von etwas wird deutlich im Spiel mit dem Verbergen durch sich überlappende Bögen, Bilder und deren Rückseiten. Martin Beck wies im Gespräch auf das Doppelgesicht von Zeigen und Verbergen hin, sowie das Misstrauen, das entsteht, wenn hinter dem, was sich zeigt, etwas anderes vermutet wird. Unter Verweis auf Boris Groys’ Theorie des Verdachts (Unter Verdacht, 2000) wird da ein so genannter submedialer oder dunkler Raum ins Spiel gebracht. Ein Raum der Subjektivität, unzugänglich und irgendwie schleierhaft, und zugleich auch der Zündfunke für Verantwortung, Protest und Politik. So einfach das klingen mag, aber die Ausstellung will nicht trivial auf das zeigen, was man sieht, sondern sie thematisiert den Akt des Zeigens mit seinen künstlerischen Vorrichtungen: Zeichen, Schild, Projektor, Wand, Stellfläche, Bild etc.
Drei Beispiele machen das deutlich:
Auf einer Bahn Zeitungspapier sind eine Reihe von wissenschaftlichen Zeichnungen aus dem Jahr 1823 in Schwarz-Weiß wiedergegeben. Sie stammen von dem Pathologen und Physiologen Jan Evangelista Purkyně, der Nachbildwirkungen auf der Retina und das optische Feld des so genannten Blinden Flecks dargestellt hat. Das Wirkliche, die Objektivität von Sinnesdaten, und das Abstrakte, ihre visionäre Interpretation, verbinden sich zu originären Darstellungen wissenschaftlich-künstlerischer Art (auf den Original-Blättern in Farbe). Die Forschungen der physiologischen Optik verhalfen Augentäuscher-Apparaten durch spielerischen Zeitvertreib zu großer Beliebtheit. Es wurde in vielen Bevölkerungsschichten ein später so genanntes subjektives Sehen [2] ausprobiert, welches das Zeitalter der Kinematographie einläutete.
Oder die Filmstills der Pantomimentruppe aus Michelangelo Antonioni’s Blow Up (1966). Im Film dient die Szene einem rätselhaften Schluss, der Realität und Fiktion zusammen fallen lässt, wenn der Modefotograf plötzlich die Geräusche hört, die durch eine Tennis-Pantomime ohne Spielgeräte auf dem Platz nicht verursacht werden können. Ihre Wahrnehmung durch den Fotografen erklingt im Film fast träumerisch wie eine Einbildung. Die stummen Stills in Lüneburg sind darüber hinaus auf Kennerschaft angewiesen. Wer die Szene nicht vollständig erinnert, verpasst die Pointe des Bildes.
Und schließlich reißen Polizisten in einem von Gebäudeflügeln umsäumten Innenhof, der geräumig wie ein Universitätscampus wirkt, Lautsprecher von den Wänden, aus denen Stimmen ertönen. Die Filmsequenz ist auf Video zu einem echten Endlos-Loop geschnitten, das heißt sein Ende geht nahtlos und narrativ in den Anfang über. Unter Schlagstockeinsatz gegen Protestierer rennt die Ordnungsmacht grotesk von einer Ecke zur nächsten und übernächsten, verzweifelnd an dem Versuch, die Stimmen des Protestes klein zu kriegen. Den Slapstick hebt der Loop noch stärker hervor. Es ist ein kurzer Ausschnitt aus Constantin Costa-Gavras’ Film Der unsichtbare Aufstand von 1972, der Unruhen in Uruguay zeigt und die Menschenrechtsverletzungen der Militärjunta sowie die damaligen Geheimdienstaktivitäten der USA thematisiert. Costa-Gavras gilt als Vertreter eines politisch engagierten Kinos, der in seinen Spielfilmen Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch bekämpft. Seine Geschichten wollen die Kehrseite aufzeigen, was verschwiegen wird oder nicht bekannt ist. Solche Filmbilder nähren den sub-medial (s. o.) begründeten Verdacht, dass die Dinge anders liegen als sie erscheinen. Der politische Spielfilm bewegt sich immer auf der Gratwanderung zwischen Verblendung und Aufklärung, wenn die Illusionsmaschine Kino zur Erhellung der „wahren“ gesellschaftlichen Verhältnisse eingesetzt wird.
To Show Is To Preserve ist eine Ausstellung über das Zeigen. Sie stellt nicht die Apparate oder Medien oder einzelne Kunstwerke in das Zentrum, sondern das Faktum des Ausstellens selbst. Dafür ist kein repräsentativer Mittelpunkt vorgesehen, keine Blickrichtung wird dirigiert oder ein zupackendes Auge erheischt. Die klare Gestaltung des Ausstellungsraums kommt dem schweifenden Blick entgegen, der mustert, liest, vergleicht. Und die gemeinsame Autorschaft der Installation entfaltet ihre konzeptionelle Stärke in der Vielfalt und Kombination der Objekte und Bilder. Sie schafft ein gutes Klima für aufmerksame Betrachtung. Hat man sich einmal orientiert, wirkt die Addition der einzelnen Elemente (Zaun, Papier, Fotografie, Filmstill, Layout, Lichtbild, Bildmotive, Überlagerungen) eine Spur zu absichtsvoll und ihr Design auch zu schön, um die Anordnung selbst in Frage zu stellen, um Doppeldeutigkeiten zu erzeugen, die wie die angesprochenen optischen Nachbilder von der Seite her in das Bewusstsein drängen. Das Thema gibt dagegen immer wieder neuen Anlass zu fragen nach dem „Wie“ der politischen Äußerung durch Bilder und in Arrangements und nicht zuletzt durch die Auffassungen über die eigene künstlerische und kuratorische Gruppenarbeit. Die Ausstellung reiht sich ein in die Tradition eines selbst-reflexiven Ausstellens, das durch Rollenübergriffe auch die Ausstellenden selbst auf ihre Hierarchien, Statuszuweisungen und Machtausübungen hinterfragt. Dieses Selbstverständnis wurde von einer der Gründerinnen des Kunstraums in Lüneburg politisch genannt [3] und wird in diesem Falle als eine Arbeit an den Wurzeln des Zeigens praktiziert.
[1] Beatrice von Bismarck, „Kuratorisches Handeln. »Immaterielle Arbeit« zwischen Kunst und Managementmodellen“, in: Dieselbe und Alexander Koch, beyond education. Kunst, Ausbildung, Arbeit und Ökonomie, Leipzig und Frankfurt a. M. 2005, S. 175-190.
[2] Weiterführend zum „subjektiven Sehen“, Stereoskop, Zootrop, Phenakistiskop und ähnlichen Apparaten vgl. Jonathan Crary, Techniken des Betrachters, 1996, engl. Original Techniques of the Observer, Boston 1990. Die Nachbild-Zeichnungen von Purkyně finden sich dort auf S. 109.
[3] Beatrice von Bismarck, „Haltloses Ausstellen: Politiken des künstlerischen Kuratierens, in: The Artist as..., hrsg. von Matthias Michalka, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Wien 2006, S. 33-47.