Lobby
im Rahmen des Forum Expanded / Berlinale – 60. Internationale Filmfestspiele Berlin 2010
Foyer Kino Arsenal

Ein Projekt von Martin Beck, Joerg Franzbecker, Heiko Karn und Katrin Mayer

Lobby Paper: Maren von Stockhausen

Lobby Paper - PDF

Ausgehend von Beobachtungen in Berliner Hotels der zwanziger Jahre beschreibt Siegfried Kracauer die Hotellobby als einen paradigmatischen Ort der Moderne. Im Zuge der Expansion des Tourismus im 19. Jahrhundert wird die Lobby zum Transitraum zwischen öffentlichen und privaten Räumen, Treffpunkt und temporären, unbestimmten Aufenthaltsort.
Kracauer fasst diesen Charakter des Unbestimmten in der Beschreibung der Lobby als ‚negative Kirche‘. Gegenüber dem sakralen Versammlungsort der Gemeinschaft, oder auch den zweckgebundenen Sitzungszimmern der Konzerne, ist die Lobby vor allem ein Ort der Zerstreuung, wo die Gesellschaft in ihre atomaren und anonymen Bestandteile zerfällt. Ein Ort, an dem man ‚gleichsam im Raume an sich zu Gast‘ ist. Hierin wurzelt ein merkwürdiger Doppelcharakter der Lobby, insofern sie Lesbarkeit zugleich annulliert und in hohem Maße herausfordert. Zum einen hüllt -der Ort das wahre Geschehen immer wieder in den Schleier der Anonymität und Konvention, zum anderen versetzt er die Anwesenden in einen Zustand gesteigerter gegenseitiger Beobachtung. In einem derartigen Szenario, das Kracauer mit dem Aufführungscharakter eines Filmsets vergleicht, begegnen sich die Personen als Masken, die sich in ihrer ‚monologischen Phantasie‘ gegenseitig ‚Bezeichnungen anhängen‘. Die ‚seltsamen Geheimnisse‘, die die opaken Oberflächen ebenso verbergen wie evozieren, machen die Hotelhalle zum prädestinierten Ort des Detektivromans. Nicht zuletzt verdankt sich ihr narratives Potential der Überschneidung sozialer Sphären und einer ständigen Möglichkeit der zufälligen Begegnung.
An der Stelle des heutigen Sony Centers stand zu Kracauers Zeiten das 1907 erbaute Grand Hotel Esplanade. Indem der jetzige Bau dessen ausgebombte Reste integriert, stellt er diese als auratische Relikte des Berlin des frühen 20. Jahrhunderts aus, und evoziert dessen Mythos als Metropole der Moderne. Die Architektur des Filmhauses selbst lässt mit ihrer Glasfassade, den Glasaufzügen und dem ins Untergeschoss verlegten Foyer an eine andere einflussreich gewordene Hotelanalyse denken - Frederic Jamesons Auseinandersetzung mit John Portmans Westin Bonaventure Hotel in Los Angeles. Dessen Architektur beschreibt er als exemplarisch für einen ‚postmodernen Hyperspace‘, der sich selbst an die Stelle des urbanen Außenraums zu setzen versucht und zugleich die Fähigkeit des Individuums, sich zu lokalisieren und seine Umgebung distanziert wahrzunehmen tendenziell auflöst. Folgt man der Analyse Jamesons, so sind es spezifisch die Glasaufzüge, die einen ‚narrative stroll‘, eine freie Bewegung der Raumaneignung, wie sie der urbane Flaneur der Moderne noch erleben konnte, medialisieren und in ein reflexives Zeichen übersetzen. Man könnte sagen, dass im Filmhaus dasselbe mit der Logik des Ankommens und Auftretens geschieht. Als Apparate des ‚Sehen und Gesehen Werdens‘ ermöglichen die Aufzüge den Ankommenden einen kurzen Moment des Überblicks, exponieren sie aber zugleich als Statisten einer architektonischen wie technologischen Inszenierung, die sich an die Gäste unten im Foyer zu richten scheint.

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