H. C. Dany
über To Show is to Preserve

erschienen in der Springerin #1/09 anlässlich der Ausstellung To Show Is To Preserve – Figures and Demonstrations

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Lüneburg. Lüneburg liegt einen Katzensprung von Hamburg entfernt. In der schnuckeligen Kleinstadt steht eine Nazikaserne. Ihre Backsteinriegeln beherbergen in diesem Jahr eine Universität. Nachdem nun zwei umtriebige Herren, von denen der eine zuvor für Unternehmen wie Bertelsmann und McKinsey tätig war, das Präsidium besetzen, schiebt sich die im Umbau befindliche Lehranstalt ins Licht der Aufmerksamkeit. Selbst die Bundeskanzlerin zeigt sich begeistert, wie weit vorn man hier auf dem Pfad in die wirtschaftsnahe Wissensgesellschaft marschiert. Der Sog des Aufbruchs scheint unwiderstehlich. Selbst der einst im Zuge der Institutionskritik mit Projekten der von Andrea Fraser initiierten »Services« international bekannt gewordene Kunstraum der Universität hat mittlerweile die akademische Selbstverwaltung verlassen und ist als zentrale Einrichtung dem kunstbegeisterten Präsidium unterstellt.
Sollte man sich gedacht haben, bei der Entstaatlichung der Universität könnte es sich um die jüngste Variante Institutionskritik handeln?
Ulf Wuggenig, leitender Mitarbeiter des Kunstraums, nennt für die Hinwendung zunächst ästhetische Gründe: Das neue Präsidium will, dass der Architekt Daniel Liebeskind auf dem Campus baut, und das würde der hässlichen Nazikaserne doch gut zu Gesicht stehen. Kann sein, nur hätte der Repräsentationsbau einen hohen Preis. Würde Liebeskind bauen, gäbe es für die Universität keine Zukunft ohne die finanzielle Abhängigkeit von dem sich schon jetzt andienenden und global in den Wissensmarkt erschließenden Konzern Bertelsmann.
Leiser wickelte sich jüngst eine andere Personalie im Schatten dieser Übernahmegefechte ab: Im ebenfalls in Lüneburg angesiedelten Kunstverein Halle von Kunst wechselte die Leitung. Der von den StudentInnen Bernd Milla und Heike Munder in den 1990er Jahren gegründete Kunstverein hatte nach der Abwanderung der Gründer in den letzten Jahren ein wenig fahrig vor sich hin gedümpelt und zunehmend war der Leitung die Kontur gegenüber dem Kunstraum verloren gegangen. Deshalb ließ die Neubesetzung mit einem Team, bestehend aus Eva Birkenstock und Hannes Loichinger, in diesem Frühjahr nun hoffen. Schon eine der ersten Ausstellungen mit dem Titel »To Show Is To Preserve« formulierte nun auch erste perspektivische Setzung. Behauptet wird sie von einer Gruppe, welche bisher keine Notwendigkeit sah, sich einen Namen zu geben. Da Birkenstock und Loichinger selbst zu den acht jüngeren KünstlerInnen, KuratorInnen und TheoretikerInnen zählen, die seit anderthalb Jahren im regelmäßigen Gespräch stehen, wird die gewöhnliche Arbeitsteilung – in Produktion, Vermittlung und Distribution – in einen kooperativen Auflösungsversuch überführt. Der vielleicht nicht nagelneue Ansatz besticht, da die Gruppe zu einer erstaunlich präzisen Form findet. Das Gerippe der installativen Setzung bildet ein zwei Meter hoher Zaun aus Maschendraht. Dieser markiert keine Trennung, sondern führt durch den Raum und fügt einen offenen Binnenraum ein. Gleichzeitig bildet er die provisorische Architektur für ein Geflecht aus Referenzen. Hörbare Träger der Konstruktion bilden drei Monitore, auf denen in Schlaufen montierte Ausschnitte aus dem Film »Der unsichtbare Aufstand« von Costa-Gavras einen Reigen bilden. Der geloopte Soundtrack durchweht den Paravent aus geflochtenem Metall zusätzlich. Über den Raumtrenner hängen lange Papierbögen, die dem Gitter seine Transparenz nehmen und leicht im Vorübergehen flattern. Die Bögen teilen den Raum visuell. Auf einem von ihnen findet sich ein maschinengeschriebenes Ornament, dessen minimale Abweichungen einer geheimnisvollen Logik zu folgen scheinen. Andere Bögen bilden frühe Überlegungen zur Technologie des Sehens ab, die sich so erklären, dass kleinste Einheiten in ganze Bilder übersetzt werden. Meist sind es aber aus Fotos ineinandergeschobene Gefüge – geschminkte Pantomimen drücken sich an Gitter, Durchgänge sind blockiert, Bewegungen werden in vielfältiger Form unterbrochen.
»To Show Is To Preserve« bezieht sich auf die Vorführpolitik von Henry Langlois. Der Mitbegründer und langjährige Direktor der Cinematèque zog es vor, Filme, selbst wenn sie sich schon in einem angegriffenen Zustand befanden, vorzuführen, als sie im Versteck und Stillstand des Archivs vor dem Verschleiß zu bewahren. Was bedeutet eine solche Entscheidung aus dem Zeitalter der analogen Medien heute eigentlich? Ein File zerfällt nicht – außer wenn sein Hersteller es entsprechend programmiert oder es sich auf elenden Trägern, wie der CD befindet. Sozusagen auf den Kopf gestellt wird heute öfter die Frage gestellt, ob die »Kulturgüter« durch ihre digitale Verfügbarkeit im Netz verschleißen. Verfügbar ist dabei aber seltener das Original, sondern fast immer eine Kopie, die gerade genug überträgt, um eine Ahnung zu bekommen. Was sich zeigt oder gezeigt werden kann, erscheint eher eine fragmentarische Referenz, ein Substitut. Gleichzeitig hat sich der Akt des Zeigens immer weiter ins Private verlegt: Einer zeigt einem anderen daheim seine Lieblingsaufnahme von Maria Callas auf YouTube oder DVD. Der Ort des Zeigens digital mumifizierter Kopien trennt dieses zunehmend von öffentlichen Räumen ab, die einst Kino hießen.
Nonverbal wird in den Bildern von Maskierten aus den Abfallhalden des Internets noch ein anderer Gründer der Cinemathèque Francaise wachgerufen. In den intensiven Filmen des Regisseurs verkörpern die Maskierten fast immer von der Macht beschädigte Subjekte, die scheinbar wehrlos und gebrochen beginnen, als Phantome durch den Körper der Tätergesellschaft zu spucken. Seltsam verbindet sich mit diesen zu Archetypen des verborgenen Subjekts das Foto eines Haufens unbeschriebener Demonstrationsschilder, die am Boden liegen. Noch unausgesprochen und damit unfassbar markieren sie ein Dagegen, das gerade in seinem noch nicht zur Aussage gekommenen Zustand widerständig wird in einer Machtapparatur, die neutralisiert, was sich kommuniziert. Langfristig, oder »nachhaltig« wie es im Jargon der Konzerne der Wissensindustrie genannt wird, werden solche Fragestellungen aber eher schwerlich ohne die Zäune institutioneller Abgrenzung auskommen.

© Hans-Christian Dany