Juliane Rebentisch
Ortsspezialisten - O´Doherty und Heidegger“

erschienen in der Publikation anlässlich der Ausstellung Waiting for some Action im Kubus / Lenbachhauses, München

ORTSSPEZIALISTEN - O'DÒHERTY UND HEIDEGGER

Nachdem sich die Kunst in den sechziger Jahren von der traditionell ihren Status absichernden Konvention der Einteilung nach Kunstgattungen befreit hatte, konnte es so scheinen, als bestimme nun der institutionelle Kontext darüber, ob etwas Kunst ist oder nicht. "Im Guten wie im Schlechten", schreibt Brian O'Doherty 1976 in seinem mittlerweile legendären Essay "Inside the White Cube", "ist [der White Cube] die einzige bedeutende Konvention des Kunstlebens." (S. 90) Und tatsächlich rückte die weiße Zelle der Galerie oder des Museums Anfang der siebziger Jahre ins Zentrum der künstlerischen Aufmerksamkeit. Und zwar in zweifacher, miteinander verschränkter Hinsicht: im Sinne der mit ihr verbundenen Ausstellungskonventionen und im Sinne ihrer gesellschaftlichen Funktion. Die Einsicht in den Sachverhalt, dass jede Erfahrung eines Kunstwerks, wie Adorno in der "Ästhetischen Theorie" bündig formuliert hat, zusammenhängt "mit dessen Ambiente, seinem Stellenwert, seinem Ort im wörtlichen und übertragenen Sinn" [1], ist heute unhintergehbar. Entsprechend zielt zeitgenössische Kunst oftmals auf die thematische Verschränkung von buchstäblichem und gesellschaftlichem Ort. Sie reflektiert ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, indem sie formal in architektonische oder landschaftliche Begebenheiten interveniert. Nun können aber die in diesem Sinne ortsspezifischen Arbeiten mit dem einfachen Verweis auf den doppelten Kontext, den sie an sich selbst thematisieren, nicht auch schon selbst angemessen erklärt werden. Gerade mit Blick auf diese Phänomene wäre es meines Erachtens an der Zeit, den vulgärduchampianischen Schluss zu kritisieren, der aus der Einsicht, dass Kunst kontextabhängig ist, folgert, dass mit dem Hinweis auf den Kontext auch schon alles Wesentliche über diese gesagt sei.

Statt O'Doherty hilft an dieser Stelle - angesichts von dessen programmatisch vertretenem Provinzialismus und seiner immer auch unfreiwillig komischen, weil absolut humorlosen Eigentlichkeitsrhetorik wohl überraschenderweise - Heidegger weiter. Und zwar mit einem kleinen, 1969 erstpublizierten Text zum Verhältnis von Kunst und Raum. Liest man diesen Text mit einer gewissen Gewaltsamkeit gegen Heidegger gnadenlos dekonstruktiv, vermag er einen ersten Aufschluss zu geben über die Eigenlogik der Kunst gegenüber ihren konkreten und soziologischen Ortsbestimmungen. Denn Heidegger erläutert am Beispiel der Plastik ein spezifisch ästhetisches Ineinanderspielen von Kunst und Raum, das sich auch für ein ästhetisches Verständnis ortsspezifischer Kunst fruchtbar machen lässt. Für dieses ist zunächst ein phänomenologischer Raumbegriff grundlegend, dem zufolge der Raum den Orten nicht vorgängig ist (wie man nach dem herrschenden, durch Galilei und Newton bestimmten, mathematisch-physikalischen Raumbegriff meinen könnte), sondern sich umgekehrt erst durch die Orte erschließt, die den Dingen in der Praxis einer Lebensform zukommen. So konstituieren Heidegger zufolge Dinge, zum Beispiel plastische Kunstwerke, Orte, von denen her sich Raum erschließt. Dieser durch die Dinge lebensweltlich eingeräumte Raum ist ein konstitutiv von Bedeutung durchzogener Raum; er gehört zu einer jeweiligen Welt. Der Clou an Heideggers Überlegungen zum Ineinanderspiel von Kunst und Raum ist nun aber nicht schon diese auf "Sein und Zeit" zurückgehende Phänomenologie der Orte und Räume. Er liegt vielmehr in Heideggers Betonung einer Zweideutigkeit im Begriff des Einräumens, die sich (gegen ihn) als Hinweis auf eine Eigenart der Kunst gegenüber den gewöhnlichen Dingen verstehen lässt. Einräumen, so Heidegger in "Die Kunst und der Raum", muss nämlich in der "zwiefachen Weise des Zulassens und des Einrichtens" verstanden werden (S. 9). Die plastische Gestalt sollte nach Heidegger nicht als feste Gestalt missverstanden werden, die dann, gleichsam in einem zweiten Schritt, mit "dem" Raum in Verbindung gebracht werden kann. Vielmehr konstituiert sich die plastische Gestalt unter anderem in der Korrespondenz mit dem, was sie durch diese Korrespondenz als "Gegend" einräumt. Eben dieses Einräumen sollte aber nun nicht einseitig als "Einrichtung" von signifikanten Verweisungszusammenhängen verstanden werden, sondern zugleich auf das "Zulassen" von Offenem bezogen werden. Weder können die durch die Plastik eingerichteten Korrespondenzen mit der Umgebung objektiver Teil des Werks sein noch aber kann dieses objektiv einfach abgetrennt von jener "für sich" gesehen werden. Deshalb bleibt die in den Prozessen der ästhetischen Erfahrung sich vollziehende Einrichtung von bedeutungshaften Zusammenhängen notwendig auf einen gegenstrebigen Prozess bezogen, in dem diese Verweisungszusammenhänge immer wieder aufgelöst werden: Offenes zugelassen wird. Eben dadurch verschwindet der ästhetisch eingeräumte Raum - anders als derjenige der Gebrauchsdinge - auch nicht einfach in einer "unauffälligen Vertrautheit" [2], sondern tritt im Gegenteil in seinem Darstellungspotenzial hervor. Eben diese Logik, nach der eine künstlerische Arbeit ihre Umgebung semantisch auflädt, ohne dass sich doch je ein bestimmter Kontext feststellen ließe, der ihr Verstehen endgültig zu sichern imstande wäre, macht auf ein Strukturmoment von Kunst aufmerksam, das es lohnte, mit dem Begriff der Ortsspezifik zusammenzudenken: das ihrer Ortlosigkeit. Durch dieses Moment nämlich wird das kritische Potenzial ortsspezifischer Arbeiten nicht geleugnet, sondern erhält eine präzisere Bestimmung. Es sitzt nicht bereits objektiv in den Werken selbst, sondern öffnet sich erst in der "verflochtenen Korrespondenz" (Derrida) zwischen Werk und Betrachter.

JULIANE REBENTISCH

Martin Heidegger, Die Kunst und der Raum, St. Gallen: Erker, 1969.
Brian O'Doherty, In der weißen Zelle/Inside the White Cube, Berlin: Merve, 1996.
ANMERKUNGEN
[1]
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt/M. 1970, S. 520.
[2]
Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1993, S. 104.